Nur scheinbar unversöhnlich

6. Abonnementkonzert.

Paul Hindemith (1895 -1963)"Apparebit repentina dies"
Kantate für gemischten Chor und Blechbläser
Anton Bruckner (1824 - 1896)Messe Nr. 2 e-Moll (Urfassung) für achtstimmigen Chor und Bläser
Motetten
Vom Bürgerschreck der wilden zwanziger Jahre bis zum beredten Anwalt
einer transzendenten, gleichwohl verstandesgelenkten Musikauffassung
hatte Paul Hindemith einen langen Weg zurückzulegen.
Irgendwo auf halber Strecke steht die selten gespielte Kantate Apparebit
repentina dies für Chor und Blechbläser, geschrieben 1947 im
amerikanischen Exil auf anonyme lateinische Texte des Mittelalters,
eine beklemmende Vision des Jüngsten Gerichts und eine unmissverständliche
Metapher für die Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Was diese
Partitur ausgerechnet mit Bruckners e-Moll-Messe verbindet, den
erklärten Feind alles Romantischen in Form wie Gehalt mit einem
der größten Mystiker des 19. Jahrhunderts verbrüdert, erschließt sich
vermutlich erst auf den zweiten Blick. Die großangelegte Passacaglia,
mit der Hindemith nach den Schreckensbildern der Verdammnis die
Herrlichkeit des ewigen Jerusalem preist, offenbart dieselben Wurzeln
wie Bruckners Vorliebe für die polyphone Kunst alter Meister,
auf der letztlich alle seine architektonischen Himmelstürme
ruhen,
auch die sinfonischen. Genauso besetzt wie Hindemiths Endzeitkantate
und kaum weniger streng formuliert, verzichtet gerade diese
Messe, die hier in der Linzer Urfassung von 1866 zu erleben ist, fast
völlig auf Weihrauch und sakrale Inbrunst. Dank dieser Visitenkarte
des etwas anderen Bruckner gelingt im letzten Abonnementkonzert
der Saison sogar die mutige Zusammenführung zweier scheinbar
unversöhnlicher Geister. Ein programminhaltlicher Schachzug der
verblüffenden Art.

Hans-Christoph Rademann, Dirigent
RIAS Kammerchor
Bläser der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen

Quelle: kulturkurier / Kulturclub.de